Lyssinum

Tollwut

 

Für die Bewertung einer Arznei ist auch die Entwicklung der Krankheit, für die sie steht, zu bedenken. Der Wandel im Symptomenbild, die Beständigkeit ihrer Gefahr im Verlauf der menschlichen Geschichte, geben Aufschluss über die Kraft der dazugehörigen Nosode.

 

Manche Seuchen, wie die Pest, sind aus weiten Teilen der Welt einfach wieder verschwunden, genauso unberechenbar, wie sie gekommen sind. Andere sind gefährlicher geworden, wie die Kinderlähmung, oder verträglicher, wie die Masern.

 

Die Tollwut gibt es in ihrer heute bekannten Form schon seit Jahrtausenden, und sie befällt Mensch und Tier mit gleichermaßen aussichtsloser Prognose. Schon vor über 4000 Jahren wurde im babylonischen Eschnunna-Kodex die Strafzahlung festgeschrieben, die der Besitzer eines tollwütigen Hundes zu zahlen hatte, wenn durch dessen Biss ein Mensch ums Leben gekommen war.

 

1885 impfte Louis Pasteur erfolgreich einen infizierten Jungen, der ohnehin verloren schien, mit dem von ihm entwickelten Impfstoff, der sich bei Hunden bereits mehrfach bewährt hatte.

Quelle: Mary Dobson  "Seuchen, die die Welt veränderten", Verlag National Geographic 2007

 

Passend zu dieser Geschichte und dem nach Krankheitsausbruch immer tödlichen Verlauf, ist Lyssinum eine unserer potentesten Arzneien überhaupt. Seine Wirkung geht durch "alle Instanzen", es ist in seiner Kraft vergleichbar mit Nosoden wie Carcinosinum (Krebsnosode) oder sogar X-Ray (Röntgenstrahlen).

 

Wir setzen es ein, wenn es zur Patientensituation und Lebensgeschichte passt oder passen könnte und wenn nach einer längeren Phase mit vielen Erfolgen ein Stillstand eintritt, der meist mit aggressiver oder hartnäckiger Symptomatik verbunden ist.

 

Oft bringt es einen entscheidenden Fortschritt, aber in der Folge werden fast alle von früher bekannten Symptome davon berührt, mit einer Beständigkeit, die wir bei kaum einem anderen Mittel beobachten. Was auch immer wir von früher kennen, vielleicht längst vergessen hatten, meldet sich noch einmal zur Stelle.

 

Lyssinum wird sehr viel häufiger gebraucht, als man denkt, nicht nur bei Patienten mit Hundebissen in ihrer Geschichte, sondern auch bei Haustierhaltern ganz allgemein. Eine kleine Schramme durch die spitzen Milchzähne eines gegen Tollwut geimpften Hundewelpen z. B. bleibt nicht unbedingt im Gedächtnis, aber der Körper erinnert sich. Wahrscheinlich reicht auch schon intensiver Kontakt, um den Einfluss der Impfung vom Tier auf den Menschen zu übertragen.

 

Außerdem ist auch für diese Nosode bei entsprechender Vorgeschichte eine ererbte Belastung möglich, ähnlich wie z. B. bei Vaccininum (Pocken), dessen Spuren aufgrund der früher bestehenden Impfpflicht jeder in sich trägt. Beide sind deshalb auch als Erbnosoden zu verstehen.

 

Auch die wiederholten Maßnahmen zur Impfung von Wildtieren durch Auslegen präparierter Hühnerköpfe müssen in unsere Überlegungen mit einbezogen werden, denn es ist durchaus denkbar, dass durch Zeckenbisse oder andere Blut saugende Kleintiere die Folgen dieser Impfmaßnahmen auch auf uns Menschen übertragen werden. Diese Zusammenhänge könnten auch für die Zunahme allergischer Reaktionen auf Insektenbisse von Bedeutung sein.

 

Das sind nur einige der möglichen Erklärungen für die Beobachtung, dass Lyssinum gerade jetzt, im Zusammenhang mit Pollenflug, eine der wichtigsten Arzneien ist, um Allergikern zu ruhigen Nächten zu verhelfen (Frühjahr 2010).

 

Lyssinum wird häufig im Wechsel mit anderen Impfnosoden gegeben. Dabei spielen Impfungen, die schon aus vorangegangenen Generationen übertragen wurden, eine wichtige Rolle.

 

Alle Symptome zeigen eine gewisse Aggressivität oder quälende Hartnäckigkeit, die sich auch in der Gemütsverfassung widerspiegelt. Der Patient ist reizbar und zornig, geht in die Luft, sobald man ihn nur anspricht, oder er verliert allen Lebensmut.

 

Im weiteren Behandlungsverlauf, wenn Lyssinum bereits eingesetzt wurde und offensichtlich gut passt, kündigen sich diese Zustände gemäßigter an, Verdrossenheit z. B. oder Ungeduld, schon bevor Verzweiflung oder Zorn von dem Patienten Besitz ergreifen. Mit rechtzeitiger Gabe des Mittels kann man dann Schlimmeres verhindern und den weiteren Verlauf auf einen guten Weg bringen.

 

Zwänge mit selbst zerstörerischen Tendenzen, ergänzend zu konstitutionell wirksamen Nosoden.

 

Schlafstörungen; auch bei Kleinkindern. Der Patient liegt stundenlang wach, findet keine Ruhe.

 

"Schreikinder"; Säuglinge, die sich nicht beruhigen lassen, wenn die Vorgeschichte der Eltern eine Belastung durch Tierkontakt oder z. B. Zeckenbefall vermuten lässt.

 

Angst und Unruhe; schon bevor die Symptome schlimmer werden, fürchtet sich der Patient davor, wälzt sich nachts hin und her, kann nicht ruhig liegen und schon gar nicht schlafen.

 

Oft kommen Beschwerden schubweise, in Anfällen, auch im Zusammenhang mit Rheuma oder Allergien.

 

Wiederkehrende Nasennebenhöhleninfekte mit rasenden Kopfschmerzen. Die Patienten sind unausstehlich, schon bevor die Krankheit ihren Höhepunkt erreicht hat.

 

Quälende Schmerzen in allen denkbaren Körperteilen, meist dort, wo der Patient schon immer eine Schwachstelle hatte.

 

Engegefühl im Kehlkopf, Einschnürung, die Beklemmungen verursacht.

 

Krampfartiger trockener Reizhusten; wenn Radium bromatum oder andere Nosoden hier keinen Fortschritt bringen, ist an Lyssinum zu denken.

 

Eine  Patientin litt seit mehr als fünfzig Jahren unter morgendlichem Reizhusten; jeden Tag hustete sie ca. eine halbe Stunde bis zur erleichternden Absonderung. Im Alter von sechs oder sieben Jahren war sie schwer an Keuchhusten erkrankt, einige Zeit davor war sie von einem Hund gebissen worden. Pertussinum (Keuchhusten) brachte Linderung, aber das Problem verschwand erst mit dem Einsatz von Lyssinum.

 

Speichelfluss.

 

Nervöses Klopfen im Bauch aus Anlässen, die Außenstehenden nichtig oder unverständlich erscheinen. Andere Arzneien besserten zahllose Beschwerden einer Patientin dauerhaft, blieben aber über Jahre ohne Einfluss auf dieses spezifische Symptom. Die Patientin war nie gebissen worden, aber mit Hunden aufgewachsen.

 

Sexuelle Verkrampfung, die den Patienten dauernd beschäftigt fehlender Orgasmus.

 

Allergien mit explosiver Symptomatik; z. B. heftige, krampfartige Niesanfälle.

 

Bauchkrämpfe nach unverträglichen Nahrungsmitteln oder bei Stress; Unruhegefühl im Bauch, aufgetrieben, Übelkeit und Krämpfe, schmerzhafte Blähungen auch nach einer leichten Mahlzeit.

 

Krampfartige Zustände allgemein; heftige Wadenkrämpfe an einer kleinen umschriebenen Stelle, noch nach Tagen spürbar.

 

 

Lyssinum hat großen Einfluss auf den Wasserhaushalt:

 

Hitzewallungen, Schweißausbrüche, kalter Schweiß.

 

Ödeme, aufgedunsene Glieder, Wasser versackt im Gewebe, geschwollene Hände und Füße; wenn Dys-Co versagt.

 

Nahezu unstillbarer Durst.

 

Seit Jahren bestehende Taubheit von begrenzten Hautbereichen nach Verletzung.

 

Schmerzhaftes Kribbeln an den Knien, "wie von Brennnesseln, nur schlimmer", schlimmer durch Bewegung, bei einer Patientin mit intensivem Kontakt zu Haustieren.

 

Hautkrankheiten mit anfallsweise beißendem Juckreiz, der Patient kratzt sich blutig im Schlaf, erwacht von Kratzern und Schrammen übersäht.

 

Starke Reaktion auf Insektenstiche; Schwellung, Brennen, beißender Juckreiz.

 

 

Eine Patientin fühlte sich seit der ergänzenden Gabe von Lyssinum subjektiv weniger von Mücken belästigt. Die Reaktion auf Stiche verlief gemäßigter als sonst, Schwellung und Juckreiz verschwanden oft schon nach weniger als einer Stunde. Zuvor hatte sie heftig auf Stiche reagiert, kein anderes Mittel hatte daran etwas verändert.

 

Lyssinum ist immer zu bedenken, wenn ein Fall nicht vorangeht und eine Belastung aufgrund der Vorgeschichte möglich ist, wobei wir diese Belastung nicht immer erkennen können. Auch die Familiengeschichte ist zu berücksichtigen. Hatten die Eltern Haustiere? Waren sie Jäger, Bauern, Tierärzte usw.?

 

Lyssinum darf am Anfang oder nach Erhöhung der Potenz nicht zu schnell wiederholt werden. Es wirkt oft leicht verzögert, und der Einnahme-Rhythmus unterliegt großen Schwankungen. Ich kombiniere es bisher nur in Ausnahmefällen mit anderen Mitteln im selben Glas.

 

Ähnlich wie Tetanus verursacht Lyssinum manchmal einen Würgereiz nach der ersten Einnahme.

 

Der Bedarf erhöht sich auffällig im Frühjahr und bei Sturm oder Wetterwechsel.

 

 

Ergänzung 08.10. 2010

 

Pilzinfektionen der Mundschleimhaut, mit Rötung oder Belag

 

Die zusätzliche Gabe von Lyssinum beseitigte nach und nach einen lebenslang vorhandenen Belag auf der Zunge bei einer Patientin im mittleren Alter.

 

 

Ergänzung 20. Mai 2011

 

Außerordentliche Müdigkeit, besonders im Zusammenhang mit Verdauungsvorgängen, Benommenheit und Taumeln; dem Patienten fällt es schwer, geradeaus zu laufen. Es scheint, als ob die Lebenskraft schon mit der Arbeit für den normalen Stoffwechsel überfordert ist.

 

Unzureichend  koordinierter Schluckreflex:

Die Patienten verschlucken sich andauernd beim Essen oder Trinken, oder sie schlucken zu große Mengen auf einmal. Daraus ergeben sich häufig Hustenanfälle, die als sehr lästig und anstrengend empfunden werden.


 

Kombinationen:


Lyssinum muss oft mit anderen Impofnosoden im Wechsel gegeben werden, v. a. Tetanus, Vaccininum (Pockenimpfung) oder Variolinum (Pockensekret), aber auch Morbillinum (Masern, eng verwandt mit Hundestaupe), MMR (Masern/Mumps/Röteln-Impfung) oder auch Borrelia (Zeckenbiss-Wanderröte), wenn sie zu der Patientengeschichte passen.

 

Die Beobachtungen erweitern sich laufend, gerade jetzt zur Hauptallergiezeit.

 

 

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