Arbeitsweise

Januar 2010

 

Meine Arbeitsweise entwickelte sich anfangs aus der Begleitung von Menschen in meinem unmittelbaren Umfeld, die mir eine genaue Beobachtung, aus nächster Nähe und über lange Zeit, ermöglichten. Dabei lernte ich, auf den Gebrauch des Repertoriums und auf den Einsatz von Arzneien, die dem Organismus unbekannt sind, weitgehend zu verzichten. Zu oft gab es Rückschläge, die mit den mir bis dahin bekannten Methoden nicht aufzufangen waren.

 

Heute gehe ich eher beratend als verordnend vor, die Einschätzung der Patienten selbst hat dabei oberste Priorität. Vorbehalte, Ängste, Zweifel gegenüber dem Verlauf oder ähnliches, sind niemals Anlass zu Diskussionen, sondern wichtige Informationen. Wir verstehen sie als Hinweise auf verborgene Zusammenhänge, für die uns bisher keine Erklärung zugänglich ist. Im Laufe der homöopathischen Begleitung versuchen wir gemeinsam, diese intuitive Wahrnehmung wieder mehr in unsere Entscheidungen zu integrieren.

 

Die Arbeit unserer Lebenskraft lernen wir dabei als eine Naturgewalt zu respektieren, deren Dynamik sich uns nicht immer erschließt. Ähnlich wie beim Segeln oder Bergsteigen oder anderen, heute meistens freiwilligen Auseinandersetzungen mit natürlicher Übermacht, kommen wir am besten voran, wenn wir uns nach ihren Gesetzen und ihren Schwankungen richten. Oder wir geraten in Schwierigkeiten, wenn wir uns dagegen auflehnen.

 

Alle Beschwerden, ob schwere Krise oder "kleines Wehwehchen", werden zunächst als Maßnahmen gedeutet, die unsere Lebenskraft gemäß ihrer Bestimmung, Leben zu erhalten und zu bewahren, ergreift, um Schlimmeres zu verhindern.

 

Es geht also nicht allein darum, ein Symptom möglichst schnell zu beseitigen, sondern darum, seine Notwendigkeit zu verstehen. Was hat es für einen Sinn, den wir vielleicht nicht erkennen? Wozu braucht unser Körper z. B. die Absonderung einer Erkältung oder die Schonung, zu der uns Krankheit zwingt? Ist Infektanfälligkeit wirklich eine Abwehrschwäche? Wie entstehen chronische Krankheiten und was geht ihnen voraus? Und gibt es Vorboten für bösartige Erkrankungen?

 

Dieses Vorgehen ist nicht unbedingt zeitgemäß. denn es bietet keine Patentlösungen. Wer erwartet, mit einigen Gaben von "Zauberkügelchen" alle gesundheitlichen Probleme über Nacht in den Griff zu bekommen, ganz ohne Nebenwirkungen, wird schnell enttäuscht sein.

 

Im Mittelpunkt steht der Versuch, der Lebenskraft bei der Bewältigung ihrer natürlichen Arbeit die größtmögliche Hilfe zu leisten, sodass sie Krankheiten aus eigner Kraft vermeiden, beenden oder zumindest lindern kann, ohne dass diese über kurz oder lang an einen anderen Ort verschoben werden müssen.

 

Körper, Geist und Seele werden dabei als eine Einheit betrachtet, die in ihrer Gesamtheit von jeder Störung betroffen ist. 

 

Aus diesem Grund erscheinen mir schwere psychische Störungen wie "Burn-out-Syndrom", Depressionen, Autismus, Empfindungsarmut oder sogar -verlust, (selbst-)zerstörerische Zwänge, Ausfälle mit Infarktcharakter (z. B. Suizidversuch) usw. in einem Zusammenhang, der weit über gesellschaftliche Problematik hinausgeht.

 

Bei genauerem Hinsehen stoßen wir immer wieder auf zeitliche Verbindungen zwischen körperlichen, geistigen und seelischen Prozessen. Sie wechseln sich ab, treten gekoppelt auf oder folgen auf einander, häufig auch schon in der familiären Vorgeschichte.

 

Schon bevor unser eigenes Leben gesundheitliche Belastungen mit sich bringt, übernehmen wir mit unserem Erbgut die Altlasten unserer Vorfahren, deren Ursache wir meistens nicht mehr zurückverfolgen können.

 

Wir leben damit wie in einem mit mehr oder weniger Gerümpel voll gestellten Elternhaus, das wir gründlich aufräumen müssen, um es bewohnen zu können. Die Aufgabe unserer Lebenskraft ist mit dieser Situation durchaus vergleichbar, und die Spuren ihrer Arbeit erkennen wir schon bei Säuglingen, z. B. an Milchschorf, Windeldermatitis, Schnupfen in den ersten Lebenswochen usw.

 

Das bedeutet, dass sich die Auswahl einer Arznei niemals nur auf eine scheinbar akute Erkrankung bezieht, sondern immer alle Informationen aus der Vergangenheit berücksichtigt, die auf die chronische Belastung des Patienten hinweisen. Aus diesem Grund kommen auch bei vordergründig harmlosen, vorübergehenden Beschwerden fast immer sehr tief wirkende Nosoden zum Einsatz, häufig auch Darm- und Impfnosoden, die sich mit anderen ergänzen.

 

Wenn sich zum Beispiel während der Einnahme eines Mittels der Allgemeinzustand zunächst bessert, dafür aber ein neues Symptom auftaucht, z. B. Sodbrennen oder Nackenschmerzen, gehen wir davon aus, dass ein unsichtbares Hindernis die weitere Wirkung behindert; häufig handelt es sich dabei um eine Impfung. (siehe dazu: Arzneimittel – Impfnosoden)

 

Aus verschiedenen Belastungen setzt sich so ein Beschwerdebild zusammen, das mit einem einzelnen Mittel kaum jemals entschlüsselt werden kann, vergleichbar einem Knoten in einem fein verzweigten Netz, der sich aus zahllosen Schlingen gebildet hat.

 

Bei der Arbeit mit chronisch Kranken hat es sich bewährt, die durch unterschiedliche Symptome angezeigten Nosoden einander ergänzend zu geben, sodass einzelne Schlingen dieses Knotens mit dem jeweils passenden "Werkzeug" gelöst oder zumindest gelockert werden können. Die Auswahl und Dosierung der Arzneien orientiert sich dabei möglichst nah an den spontanen Reaktionen des Patienten.

 

Sie muss fortlaufend den Schwankungen in seinem Alltag angepasst werden, um die Lebenskraft optimal bei ihrer Arbeit zu unterstützen, genauso, wie wir bei täglichen Routinearbeiten den Gebrauch unserer Hilfsmittel – z. B. Bleistift und Lineal, Schaufel und Harke oder Hammer und Zange usw. – laufend den jeweiligen Erfordernissen anpassen. Wir nehmen sie kurz zur Hand und legen sie wieder beiseite, gerade so, wie wir sie im Moment benötigen. Es gibt also kein schematisches Vorgehen.

 

Zunächst habe ich die Arzneien anhand von Angaben aus der Literatur ausgewählt, v. a. nach Dr. Wolfgang Mettler, "Die Darmnosoden", Verlag Müller & Steinicke, und nach Abdur Rehman, "Handbuch der homöopathischen Arzneibeziehungen", Haug Verlag.

 

Im Laufe der Zeit haben sich aus eigenen Beobachtungen Zeichen herauskristallisiert, die im Sinne von Leitsymptomen mit verhältnismäßig großer Sicherheit den Einsatz bestimmter Mittel fordern, wiederholt oder als seltene Zwischengabe, im Wechsel mit anderen. Von Zeit zu Zeit erweitert sich das Spektrum, zuletzt um den überraschend häufigen Einsatz von Lyssinum und Morbillinum.

 

Mai 2011: Seit Herbst 2010 verwende ich zunehmend häufig Parotidinum und Morphinum. Nähere Angaben dazu erscheinen unter "Arzneimittel" im Laufe der kommenden Monate.

 

Oktober 2013: Neu hinzu gekommen ist die Verwendung der Toxoplasmose- und der Pest-Nosode.

 

Der Patient wird also mit einer Kombination von Arzneien begleitet, die sich wiederum Netz artig von unterschiedlichen Seiten seinem Problem annähern und deren Zusammensetzung entsprechend seiner Reaktion ständig dem aktuellen Bedarf angepasst wird. Je beweglicher dieses "Arzneimittelnetz" gehandhabt wird, umso besser kann es über aktuelle Krisen hinweghelfen, ohne die Beschwerden zu unterdrücken.

 

In Phasen großer Stressbelastung erhöht sich zum Beispiel die Einnahmefrequenz der unterstützenden Mittel, das gilt vor allem für Darmnosoden mit Stressbezug. Parallel dazu werden häufig einige pflanzliche Arzneien aus der klassischen Materia medica in niedrigen Potenzen gegeben, um die ausleitende Organtätigkeit zu unterstützen, wenn die Wirkung der tiefen Nosoden den Körper zu überrollen droht.

 

Im Behandlungsverlauf hat sich ein zyklisches Muster mehrfach bestätigt. Das bedeutet, dass bekannte Krisen, wie etwa Rheumaschübe, mit abschwächender Tendenz wiederkehren, immer seltener und von kürzerer Dauer, bis sie im Idealfall ganz ausbleiben. Parallel dazu stabilisiert sich der Allgemeinzustand des Patienten. Damit sind besonders die zentralen Lebensbereiche gemeint, wie  Schlaf, Appetit, Kräfte- und Wärmehaushalt, seelische, geistige und nervliche Verfassung und Belastbarkeit, Tatendrang, Konzentrationsvermögen und nicht zuletzt auch Zuversicht und Lebensfreude.

 

Ich gehe heute eher empfehlend als verordnend vor und berate mich für die Auswahl und Dosierung der Arzneien vor allem mit den Patienten selbst oder mit deren Angehörigen. Kleinkinder und Tiere sind natürlicher Weise besonders unbeirrbar in ihrer spontanen Reaktion; sie sollten niemals zu einer Einnahme gedrängt oder auch nur ermuntert werden, die sie von sich aus ablehnen.

 

Anders als bei kinesiologischen Verfahren, wo der Therapeut die körperliche Reaktion der Patienten mittels erlernter Techniken hervorruft und deutet, wird hier ein hohes Maß an Eigenständigkeit angestrebt, auch in Bezug auf das Verfolgen der körpereigenen Zusammenhänge. Die Hilfe zur Selbsthilfe steht also im Vordergrund, allerdings ist dafür vor allem am Anfang von beiden Seiten die Bereitschaft zu einer intensiven Zusammenarbeit erforderlich.

 

 

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